Agrar Magazin / AgrarGespräch

AgrarGespräch: Ernährungssicherheit – setzen wir unsere Souveränität aufs Spiel?
AgrarGespräch

1. Dezember 2021: Ernährungssicherheit – setzen wir unsere Souveränität aufs Spiel?

Landwirtschaft und die gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gestellt werden, unterliegen einem ständigen Wandel. Die Antworten auf die Frage, wie eine zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen muss, fallen unterschiedlich aus. Sie sind auch abhängig vom jeweiligen Blickwinkel und der Gewichtung der unterschiedlichsten Forderungen, die erfüllt werden sollen. Diese „Gemenglage“ diskutierten Experten am 1. Dezember beim letzten AgrarGespräch in diesem Jahr.
In seinem Eingangsstatement ging Dr. Henning Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV), darauf ein, was Transformation bedeutet und welche Folgen sie für einen Großteil der deutsche Landwirtschaft habe könnte. Er sieht für das Hochindustrieland Deutschland vor allem eine starke Preiskonkurrenz, etwa beim knappen Faktor Boden. Der Ausbau auf 30%-Ökolandbau führt seiner Meinung nach zu ökonomisch unsicheren Verhältnissen für die Betriebe. Er setzt vielmehr auf ein vorsichtiges Vorgehen und auf Nachfrageimpulse, nicht auf angeordnete höhere Preise. Denn das schadet letztendlich der Bio-Landwirtschaft selbst. Zunehmender Wettbewerbsdruck zwingt die Öko-Betriebe ebenso zu Wachstum wie die konventionellen. Am Ende entspricht die deutsche Landwirtwirtschaft in keiner Weise den Verbraucherwartungen an eine bäuerliche Landwirtschaft.
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Dr. Anne Monika Spallek, Bundestagsabgeordnete der Grünen, sieht das anders. Für sie sind verbindliche Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnungen der richtige Weg auch für die konventionellen Betriebe. Den Umbau der Tierhaltung soll unterstützt werden, auch durch Marktanreize. Das Engagement bei der Einführung von 5 D beim Schweinefleisch sind für sie die richtigen Weichen, die den Tierhaltern neue Chancen eröffnen. Für besonders wichtig hält Spallek den Blick auf die Ernährungsstrategien.  Die Regionalisierung ist für sie ein guter Punkt, mit dem Landwirte bessere Preise für ihre Produkte generieren können.

Helfen wir dem Klima und der Umwelt, wenn wir uns regional ernähren, fragte die Moderatorin und Chefredakteurin im Deutschen Fachverlag Angela Werner die Runde. Professor Dr. Matin Qaim, Leiter des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn relativierte in seiner Antwort die Pole-Position der Regionalität. Für ihn sind Handel und Transport nicht zwingend die Treiber beim Klimawandel. „Entscheidend bleibt die Art und Weise, wie wir produzieren“, sagte er.

Er sieht die Forderung nach einer extensiveren Produktion kritisch. Der Ökolandbau bringt deutlich geringere Ernten als der konventionelle Ackerbau. Damit einher gehen rückläufige Exporte und wachsende Importe auf nationaler und europäischer Ebene. Mit Blick auf unsere Ernährungssicherung sieht er vordergründig darin keine Probleme, da die Kaufkraft innerhalb der EU hoch ist. In ärmeren Ländern in der Welt kann das aber zu Problemen führen.

Die Extensivierung von Hochertragsstandorten führt in anderen Regionen der Welt automatisch zu einem Landnutzungswandel, da fehlende Flächen kompensiert werden müssen. Davon betroffen sind beispielsweise der Regenwald oder große Savannenflächen. In der Summe hat das negative Auswirkungen auf das Klima und die Biodiversität und belastet unser ökologisches Konto in der Klimabilanz. „Was wir bei uns einsparen, führt anderswo zu höheren Emissionen“, erläuterte er. „Wir müssen deshalb immer den globalen Rahmen im Blick behalten.“

Auch für Dr. Martin Märkl, Public Affairs & Sustainability bei Bayer, ist das deutsche Ernährungssystem als Teil des europäischen und dieses wiederum als Teil des globalen zu verstehen. Alle Themen innerhalb dieser Systeme sind eng miteinander vernetzt. Regionalisierung kann somit für bestimmte Produkte gut sein, für andere verbietet sich dies allein aus natürlichen Gegebenheiten heraus. Als Beispiele nennt er Kakao und Palmöl, aber auch Durum aus Kanada für die europäische Pasta-Industrie. Er verwies darauf, dass jede Maßnahme, die etwa im Rahmen des Green Deals für Europa beschlossen wird, globale Auswirkungen hat. Man muss deshalb über Nachhaltigkeitsstandards sprechen und diese eventuell exportieren. „Ein sehr sensibles Thema“, sagte Märkl.

Dr. Monika Spallek kritisierte, dass die Agrar- und Ernährungssysteme nicht auf die planetaren Grenzen abgestimmt sind. „Wir müssen in vielen Bereichen zurückfahren“, sagte sie. „Die Landwirtschaft sehe ich in diesem Zusammenhang aber als Problemlöser, ein Beispiel dafür ist die Dekarbonisierung.“ Sie hält nichts von purem Wachstum und Effizienzsteigerung. Das hat es viele Jahre gegeben, die Wertschätzung für Lebensmittel ist dabei auf der Strecke geblieben. Sie sieht die großen Chancen in Verhaltensänderungen, etwa bei der Reduzierung im Fleischverzehr oder bei der Lebensmittelverschwendung.

Qaim stimmte der Politikerin in der Zustandsbeschreibung zu, zieht aber andere Schlüsse. Die Forderung, die Produktion zurückzufahren, hält er für ein sehr europäisches Denken. Dies vor allem wegen des wachsenden Flächenbedarfs in anderen Teilen der Welt. Auch gibt es für ihn keine Entweder-Oder-Lösungen. Er sieht den gesamten Werkzeugkasten und setzt seine Hoffnungen in innovative Technologien, wie neue Züchtungsmethoden, die die Vielfalt fördern und die Nachhaltigkeit voranbringen.

Auch Dr. Henning Ehlers widerspricht Spalleks Ist-Beschreibung nicht, weist jedoch auf die Bedeutung preiswerter Lebensmittel hin. Auch stellte er Frage, mit welcher Agrarstruktur in Deutschland und Europa erfolgreich produziert werden kann. Die Transformation, die Einführung innovativer Technologien und die Berücksichtigung komplexer Nachhaltigkeitsstandards sind gerade für die förderungswürdigen kleineren Betriebe sehr teuer.

Dr. Angela Werner lenkte ihren Blick ebenfalls auf die globalen Zusammenhänge und stellte die Frage, ob und wie gerade die kleinbäuerlichen Betriebe in den Schwellen- und Entwicklungsländern überhaupt die westlichen Nachhaltigkeitsstandards einhalten können. Mit Blick auf zum Beispiel Afrika hält Märkl das für ausgesprochen schwierig. Europa darf nicht vergessen, dass auch diese Länder von der europäischen Agrarpolitik besonders betroffen sind. Er plädiert für bilateralen Handel auf Augenhöhe. Qaim sieht ebenfalls eine große Verantwortung für die globale Produktion. Er hält es für möglich, Standards im Großen zu setzen und erläuterte das am Beispiel des zertifizierten Palmöls. Diese Standards müssen aber permanent weiterentwickelt und auch kontrolliert werden. Mit einzelnen, kleinen Betrieben lässt sich ein vergleichbares Zertifizierungssystem seiner Meinung nicht umsetzen. „Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Indonesien sein zertifiziertes Öl zwar nach Europa exportiert. China aber wird in großem Umfang mit den geringeren Standards beliefert. Europäische Zertifizierungen könne also nur ein Baustein von vielen sein.“

Für Märkl gehört das zu den klassischen Zielkonflikten, die es aufzulösen gilt. Darüber hinaus muss man seiner Meinung nach akzeptieren, dass unterschiedliche Staaten für gleiche Sachverhalte bei der Agrar- und Ernährungssituation verschiedenste Lösungswege beschreiten. „Wir stehen im multilateralen Kontext, die Probleme der Welt können nicht in Europa gelöst werden. Was wir brauchen, ist ein definierter Rahmen, an dem sich die unterschiedlichen Agrarsysteme ausrichten können.“

9. AgrarGespräch 2021

Ernährungssicherheit – setzen wir unsere Souveränität aufs Spiel?

1:01:18

Übereinstimmung herrschte bei den Diskutanten, dass der Abschlussbericht der Zukunftskommision Landwirtschaft (ZKL) eine gute Basis für die Weiterentwicklung der deutschen Agrarbranche darstellt. Spallek plädierte für die Einpreisung der ökologischen Kosten, ein Weg, der jedoch von sozialen Lösungen flankiert werden muss. Die entsprechenden Instrumente sind in ZKL angedacht.

In der Abschlussrunde nannte Ehlers kooperative Lösungsansätze, die auch kleine Betriebe mit einbinden, als besonders geeignet, die Landwirtschafts- und Ernährungssysteme sicher zu machen. Für Märkl steht das vernünftige Miteinander und der konstruktive Diskurs an erster Stelle. Spallek will den Umbau beschleunigen, sie erkennt keine elementaren Wissensprobleme mehr. Ihr fehlt jetzt das entschiedene Handeln. Qaim plädierte dafür, nicht von der EINEN Lösung zu sprechen. Transformation im Konsum und in der Produktion, begleitet von Innovation und Digitalisierung, sind für ihn geeignete Ansätze zur Sicherung unserer Ernährungssysteme. Und er fordert die Beteiligten auf, mutig zu sein und Dinge auszuprobieren. Nachjustieren ist immer möglich.

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